Extrem viele Klagen: Wohnungskonzern BCRE will Leipziger Mietspiegel kippen
Die Wohnungsgesellschaft BCRE hat in Leipzig eine Klagewelle gegen den qualifizierten Mietspiegel ausgelöst, um Mieterhöhungen durchzusetzen. Das Amtsgericht setzt zehn Richterinnen und Richter ein, um die Flut von Verfahren zu bewältigen. Erste Prozesse sollen im Februar beginnen.
Eine solche Klagewelle in Sachen Mieterhöhungen hat Leipzig bisher noch nicht erlebt. Mit einer großen Zahl an Verfahren versucht der Immobilienkonzern BCRE (Brack Capital Real Estate) gegenwärtig, den gültigen Mietspiegel der Messestadt zu Fall zu bringen. Sollte das gelingen, dürfte es gravierende Folgen auch für Mieterhaushalte bei anderen Eigentümern haben.
Betroffen ist beispielsweise Lothar Uhlmann aus Großzschocher. Er wohnt seit 1977 in der Karl-Heft-Straße – in einer Siedlung, die das kommunale Wohnungsunternehmen LWB nach der Wende privatisiert hatte. „Die Kohleöfen wurden noch von der LWB durch eine Heizung ersetzt, auch die Fenster saniert. Ansonsten ist bei uns fast alles noch auf DDR-Standard. Da klebt zum Beispiel so eine Art Linoleum direkt auf dem Betonboden.“
Bei der Ausstattung nichts verbessert
Seit das Haus zur BCRE gehört, habe sich an der Ausstattung nichts mehr verbessert, erzählt der Rentner. Im Januar 2023 habe er in der LVZ gelesen, dass die wirtschaftlich angeschlagene Adler Group gerade 2700 Leipziger Wohnungen ihrer Tochter BCRE für 240 Millionen Euro verkauft hatte. Neuer Eigentümer wurde ein Joint Venture aus dem in London ansässigen Fondsverwalter Tristan Capital Partners sowie dem Co-Investor Lübke Kelber aus Frankfurt/Main.
Tristan-Geschäftsführer Constantin Plenge schwärmte seinerzeit: „Leipzig ist der ideale Standort für unsere erste Akquisition. Es ist die wachstumsstärkste Großstadt in Deutschland mit Miet- und Wertsteigerungspotenzial.“
Drei Monate später – im April 2023 – erhielt Rentner Uhlmann die Aufforderung, eine Mieterhöhung zu akzeptieren. Das lehnte er nach Beratung beim Mieterverein ebenso ab wie ein späteres Vergleichsangebot für eine weniger starke Erhöhung. „Eigentlich bezahle ich nach dem aktuell gültigen Mietspiegel schon jetzt zu viel“, stellte der frühere Elektromonteur fest.
Im Ergebnis habe er dann von einer Anwaltskanzlei in Gohlis eine Klage des Vermieters bekommen – ebenso wie viele andere Mieter in dem Wohngebiet, mit denen er sich darüber unterhalten habe. „Mein Vorteil ist, dass ich als Mitglied im Mieterverein maximal 100 Euro bezahlen muss, falls wir den Prozess verlieren“, sagt Uhlmann. „Ich denke, man sollte sich nicht alles gefallen lassen.“
Wie viele Klagen BCRE insgesamt eingereicht hat, ist unklar. „Mehr als 250“ heißt es bei einigen Branchenkennern, bei anderen „etwa 500“. Anscheinend führt die Anwaltskanzlei in Gohlis alle entsprechenden Verfahren für den Hauseigentümer durch. Sie hatte den Fondsverwalter Tristan Capital Partners auch schon bei dem Kauf beraten. Auf LVZ-Anfrage gab es von dieser Seite jedoch weder Auskünfte zur Zahl der Klagen noch zu deren Inhalt.
Eigentümer lehnt Stellungnahme ab
„Wie alle anderen privaten und kommunalen Wohnungsgesellschaften überprüfen auch unsere Mandanten regelmäßig die Möglichkeiten für Mieterhöhungen und nehmen diese im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten vor“, teilte die Kanzlei aus Gohlis lediglich mit. „Zur aktuellen Situation um den Leipziger Mietpreisspiegel möchten sich unsere Mandanten nicht äußern. Darüber hinaus äußern sich unsere Mandanten grundsätzlich nicht zu laufenden Rechtsstreitigkeiten sowie konkreten Miethöhen und Mieterhöhungen.“
Aus Datenschutzgründen ließ sich das Leipziger Amtsgericht ebenfalls nicht zur Zahl der von BCRE eingereichten Klagen ein. Sprecher Stefan Blaschke teilte jedoch mit, dass die Verfahren wegen ihrer Menge auf alle zehn Richterinnen und Richter des Hauses verteilt wurden, die sich mit Mietstreitigkeiten befassen. „Voraussichtlich im Februar oder März 2024 beginnen die ersten Verhandlungen“, sagte Blaschke. Dabei entscheide jede Richterin oder Richter selbst, ob mehrere Verfahren in einem Prozess gebündelt werden können.
Nach Angaben des Leipziger Mietervereins folgt das Vorgehen der BCRE oft dem gleichen Prinzip. „Sie wollen Mietererhöhungen für Wohnungen durchsetzen, die nach dem gültigen Leipziger Mietspiegel nur ein ganz geringes oder gar kein Potenzial für solche Mieterhöhungen aufweisen“, berichtete Vereinschefin Anke Matejka. Deshalb versuche der Eigentümer, seine Anhebungswünsche durch Verweise auf drei Vergleichswohnungen zu begründen. Rechtlich zulässig wären solche Begründungen, die vom Mietspiegel abweichen, aber nur in Städten, die keinen qualifizierten Mietspiegel haben. „Leipzig hingegen hat einen qualifizierten Mietspiegel. Bisher liegt nach unserem Kenntnisstand auch kein einziges Gerichtsurteil vor, das dem Leipziger Mietspiegel seine Qualifizierung abspricht.“
Neue Größenordnung bei Klagen
Hinter der Frage, ob ein Mietspiegel qualifiziert ist oder nicht qualifiziert, steckt ein juristisches Gebäude mit vielen schmalen Gängen. Mietspiegel müssen alle zwei Jahre neu erstellt werden. Im Kern geht es darum, ob das Leipziger Sozialamt die Daten jeweils nach einer Vielzahl wissenschaftlicher Kriterien richtig erhoben und angewandt hat. Dieses Amt versicherte mehrfach, sowohl der Mietspiegel 2020 als auch der aktuell geltende Mietspiegel 2022 (er wurde erst im Sommer 2023 vom Stadtrat beschlossen) erfüllten alle Kriterien, um qualifiziert zu sein. Das bestritten wiederholt Vertreter der Eigentümerseite – insbesondere der Verband Haus&Grund Leipzig.
Nach einem Klageschreiben, das der LVZ vorliegt, übernimmt BCRE die Argumentationslinien von Haus&Grund weitgehend. Wie berichtet, kritisierte der Verband unter anderem, das Sozialamt habe gesetzliche Fristen bei der Datenerhebung nicht eingehalten. Auch sei es abwegig, dass die zulässige ortsübliche Vergleichsmiete im Mietspiegel 2022 für viele Leipziger Wohnungsbestände niedriger liege als im Mietspiegel 2020.
Welche der Seiten nun recht hat, darüber müssen die Gerichte entscheiden, sagte Vereinschefin Matejka. Zur Anzahl der Klagen wollte sie sich ebenfalls nicht äußern, zumal der Mieterverein ja nur bei seinen eigenen Mitgliedern davon erfahre. „Es gab schon immer mal wieder vereinzelte Klagen von Eigentümern, die sich auch gegen den Leipziger Mietspiegel wandten. Aber in dieser Größenordnung hatten wir das noch nie.“ Am Amtsgericht erläuterte Sprecher Blaschke, weitere Klagen von anderen Eigentümern gegen den Mietspiegel seien derzeit nicht anhängig.